Ende Februar hat sich Tour-Direktor Olivier Senn mit der Bank WIR zum INterview getroffen. Er spricht über die Herausforderungen bei der Organisation, den Stand bei den Planungen sowie über den Tod des Schweizer Fahrers Gino Mäder im letzten Jahr.
Es dauert noch ein paar Monate bis zum Start der Tour de Suisse. Was sind derzeit die wichtigsten Aufgaben für Sie?
Olivier Senn: Wir arbeiten aktuell unter Hochdruck an der Etappenplanung sowie an der Streckenführung. Das erfordert viele Gespräche, gegen Ende März werden wir diese Dinge organisiert haben. Im Idealfall haben wir jeweils bereits alle möglichen Strassen angeschaut, bevor der Winter und der Schnee alles zudecken. Derzeit geht es deshalb noch um viele Details, die zu klären sind.
Was haben Sie Anfang Februar schon alles organisiert?
Mehr als die Hälfte. Wir haben uns in den letzten Jahren als Team entwickelt, sind erfahrener geworden und in einigen Bereichen früher dran. Die Pandemie hat uns zudem dazu gezwungen, in kürzerer Zeit Sachen aufzugleisen sowie Veränderungen zu akzeptieren und Situationen zu antizipieren.
Olivier Senn – Tour de Suisse Direktor
Sind Sie flexibler geworden?
Wir mussten es werden. Das waren auch für uns strenge Jahre, weil so vieles ungewiss war und anders. Die Pandemie hat unsere Arbeitsweise komplett verändert, alles war neu, die Planung, das Denken, die Rennen. Man spürt das auch jetzt noch, selbst wenn nun die erste Austragung ohne Pandemiebeschränkungen bevorsteht. Wir haben, so blöd das klingen mag, von dieser mühsamen Zeit profitiert, weil wir schneller und anpassungsfähiger geworden sind.
Wie gross ist das Team, welches die Tour de Suisse organisiert? Und wie hoch ist das Budget?
Wir sind bei Cycling Unlimited 12 Personen, die sich darum kümmern. Während der Tour de Suisse arbeiten rund 220 Leute mit. Das Budget bei den Männern beträgt 7,6 Millionen Franken, bei den Frauen ist es etwas weniger als eine Million.
Wir stellen uns vor, dass die Tour de Suisse bezüglich der Etappenplanung langfristig plant. Wie darf man sich das konkret vorstellen?
Wir stehen ständig in Kontakt mit interessierten und interessanten Orten, teilweise existieren tatsächlich Mehrjahresverträge, einer läuft sogar bis 2028. Das ist wie bei einem Puzzle, wobei wir schauen, was geografisch und sportlich Sinn ergibt. Dann überlegen sich unsere Sportverantwortlichen David Loosli und Mathias Frank, wie man die Tour attraktiv gestalten kann. Am Anfang kommen sicher keine besonders schweren Berge, damit die Spannung hochgehalten werden kann. In diesem Jahr ist das Abschlusswochenende in Villars in der Westschweiz, was uns besonders freut, die Frauen werden zudem dort starten. Das wird ein tolles Wochenende.
Und wie genau laufen die Abklärungen, wenn es um die Sicherheit geht?
Da sind verschiedene Anspruchsgruppen involviert. Die lokalen Organisationskomitees sind dabei, die Polizei auch, dazu müssen bei den Kantonen Bewilligungen eingeholt werden. Manchmal helfen uns dann auch das Militär oder Leute vom Zivilschutz. Die Streckensicherung ist natürlich sehr wichtig, auch hier kann es manchmal zu Überraschungen kommen. Wir müssen beispielsweise jede Baustelle auf dem Radar haben.
Wann steht das komplette Fahrerfeld?
Das ist ein sehr dynamischer und mehrstufiger Prozess. Die Teams bestätigen erst einen Tag vor der Tour definitiv, wer fahren wird. Aber logischerweise haben die Mannschaften eine ziemlich exakte Saisonplanung. 60 Tage vor Beginn der Tour de Suisse steht fest, welche Teams mitfahren, wobei die World-Tour-Mitglieder dabei sein müssen. Zudem können wir mit Wild Cards kleinere Teams einladen. 2023 waren das z.B. die beiden Schweizer Teams Q36.5 und Tudor. Mit den Fahrern verhandeln wir nicht selber, das läuft alles über die Mannschaften.
Wie zufrieden sind Sie mit der Situation bei den Sponsoren sowie mit den TV-Verträgen?
Mit dem Schweizer Fernsehen haben wir einen Mehrjahresvertrag, diese Zusammenarbeit ist eingespielt. Und auch international wissen wir bis 2025, welche Sender die Tour de Suisse übertragen werden. Auf der Sponsorenseite gibt es einerseits die langfristigen Partner, dazu suchen wir auch immer Unternehmen, die sich im Rahmen der aktuellen Austragung neu oder zum Beispiel lokal engagieren könnten. Man kann schon sagen, dass die Tour de Suisse ein starker Brand ist, weil sie schon sehr lange existiert.
Ist die Organisation der Tour de Suisse 2024 anders, weil im Sommer auch die Olympischen Spiele in Paris stattfinden und im Herbst zudem die WM in Zürich über die Bühne geht?
Nein, das geht gut aneinander vorbei. Es ist für den Radsport ein grosses Jahr, und wegen der WM natürlich auch für die Schweiz. Wir helfen dort bei der Organisation mit, weil es in der Schweiz nicht so viele Leute gibt, die sich mit Velorennen auskennen. Dort arbeiten wir mit der Stadt Zürich sowie dem Kanton eng zusammen.
Wie lange organisiert Ihre Firma Cycling Unlimited bereits die Tour de Suisse?
Seit 2019. Viele Mitarbeiter waren aber vorher schon mit der Planung der Tour de Suisse beschäftigt, als die Firma InfrontRingier dafür verantwortlich war. Wir sind ein gut aufeinander abgestimmtes Team, haben ein breites Netzwerk und sind in allen Bereichen kompetent aufgestellt. Das erleichtert die Arbeit sehr, wenn beispielsweise auch bei der Kommunikation Spezialisten am Werk sind.
2023 war mit dem Tod des Schweizer Fahrers Gino Mäder sehr traurig und aufwühlend für die Tour de Suisse. Wie haben Sie diese Tragödie verarbeiten können?
Das ist sehr schwierig. Ende 2023 wurde der Tod von Gino noch einmal in vielen Medien thematisiert, da kamen alle Erinnerungen wieder hoch. Es macht mich immer noch sehr traurig. Wir haben damals bereits direkt nach dem Unfall einen Weg gefunden, damit umzugehen, selbst wenn das natürlich enorm belastend war. Wir wissen, dass wir alles getan haben, was in unserer Macht gestanden hat. Das hat auch die Staatsanwaltschaft bestätigt. Es wird im Radsport immer Rennunfälle geben, manchmal gehen sie leider so schlimm aus wie bei Gino. Das Risiko fährt mit. Es ist schrecklich, wenn ein so junger und toller Mensch sein Leben auf diese Weise verliert.
Direkt nach dem Unfall standen auch Sie sehr im Fokus und wurden auf Social Media teilweise heftig angefeindet. Wir hatten damals den Eindruck, dass Sie die Kommunikationsarbeit sehr gut und empathisch durchführten. Wie erlebten Sie diese Zeit?
Es gibt kein Handbuch für so eine Situation. Die Kritik war mir egal, damit konnte ich umgehen, weil ich immer gewusst habe, wie die Dinge sind. Es freut mich, wenn Sie finden, dass wir damals einen ordentlichen Job in dieser unendlich traurigen Geschichte gemacht haben. Bei der Kommunikation ist es immer wichtig, dass man authentisch und menschlich ist. Es ist eine Mischung aus Fakten und Anteilnahme, vieles ist in solchen Momenten aber auch Erfahrung und Intuition. Am Ende sind wir alle Menschen, die anständig miteinander reden sollten. Es gab Rahmenbedingungen, daneben habe ich vieles aus dem Bauch heraus entschieden und immer darauf geachtet, dass der Mensch im Zentrum steht und nicht das Geschäft.
Welches waren die schönsten Momente für Sie als Tour-de-Suisse-Direktor?
Es gab so viele, ich möchte keinen bestimmten Moment nennen. Ich habe immer eine riesige Freude, wenn ich die Begeisterung der Zuschauer an den Strassen sehe, wenn das halbe Dorf an der Strecke ist, wenn wir bei den Leuten sind. Die Tour de Suisse hat einen hohen Stellenwert in unserem Land.
Grosse Emotionen während der Tour de Suisse
Ist sie sogar die grösste Sportveranstaltung der Schweiz?
Solche Rankings sind oft subjektiv. Wir bewegen mit Abstand am meisten Leute, pro Jahr sind rund eine Million Menschen an den Rennen dabei. Das ist ein wichtiger Messpunkt. Aber natürlich können andere Topevents wie die Swiss Indoors nicht so viele Zuschauer haben, weil die Halle in Basel nun mal eine beschränkte Kapazität hat. Ich bin zu bescheiden, um zu behaupten, dass wir die Nummer 1 sind. Ich bin Vizepräsident von SwissTop- Sport, das ist der Zusammenschluss der 21 bedeutendsten Veranstaltungen in der Schweiz. Und deshalb kann ich beurteilen, dass es sehr bemerkenswert ist, wie viele grossartige Sportevents es in unserem Land gibt.
Dann würde uns zum Abschluss des Gesprächs gerne interessieren, welche Ziele, Pläne und Träume Sie mit der Tour de Suisse haben!
Oh, da gibt es schon zwei, drei Ideen. Ich würde gerne regelmässig über den Gotthard fahren, das ist ein Mythos, ein Monument. Ich finde es auch cool, wenn wir in den grossen Städten sind, in Bern, Zürich, Basel, aber ich weiss gleichzeitig, wie kompliziert vor allem die Verkehrsführung dort ist. Das sind fein getunte Abläufe, und es ist mit einem riesigen Aufwand verbunden, ganze Innenstädte stundenlang zu sperren. Die Tour de France endet ja fast immer in Paris, aber dort sind die politischen Bedingungen anders, der Staat agiert in Frankreich zentral. Bei uns herrscht Kantönligeist, das müssen wir akzeptieren und ist nicht wertend gemeint.
Wie spannend wäre es, das Ausland bei der Etappenplanung stärker zu berücksichtigen?
Darauf liegt unser Fokus nicht. Einerseits sind die Planungen noch schwieriger, wenn man die Schweiz verlässt, zudem sind wir ja die Tour de Suisse und so auch interessant für Partner und Sponsoren. Aber wir sind offen für alles und wissen auch, dass es wichtig ist, manchmal gross zu denken und neue Herausforderungen anzugehen.
Das Interview führte Fabian Ruch